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Gedenken

26. September 2023 – Gedenken an die Betroffenen des Oktoberfestattentates

Rund 150 Teilnehmende erinnerten in diesem Jahr an die Betroffenen des Oktoberfestattentates. Der Überlebende des extrem rechten Bombenanschlags am 26.09.1980, Robert Höckmayr, schilderte seinen Kampf mit den Behörden und das nicht endende Ringen um Anerkennung. Oberbürgermeister Reiter betonte den beschämenden Umgang der Stellen mit den Betroffenen, die ihnen eigentlich helfen sollten. Ein Mitarbeiter von BEFORE unterstrich in seiner Rede das Engagement der Betroffenen in den jahrzentelangen Auseinandersetzungen um Unterstützung und die Einordnung der Tat. Die Rede von Robert Höckmayr ist hier abrufbar, die Rede von BEFORE hier.

22. Juli 2022 – Gedenken an die Betroffenen des OEZ-Attentates

2022 erinnerten hunderte Menschen mit einem Trauermarsch und einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal für die Ermordeten an den rechtsterroristischen Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum. Der Trauermarsch der Initiative „München erinnern” begann mit einer Kundgebung auf dem Odeonsplatz. In der heißen Julisonne drängten sich mehrere hundert Menschen, viele mit Plakaten in der Hand auf denen Bilder der Getöteten zu sehen waren. Schilder in der Menge erklärten:

Wir vermissen Selçuk
Wir vermissen Armela
Wir vermissen Sabina
Wir vermissen Can
Wir vermissen Dijamant
Wir vermissen Roberto
Wir vermissen Guiliano
Wir vermissen Hüseyin
Wir vermissen Sevda

Die Namen der Betroffenen riefen die Teilnehmenden im Laufe des Marsches immer wieder, zusammen mit der klaren Aufforderung: „Erinnern!”

Sibel Leyla, deren Sohn Can bei dem Attentat ermordet wurde, sprach auf dem Odeonsplatz als Rednerin und forderte ein konsequentes Eintreten gegen Rassismus und rechten Terror. Mit Mandy Boulgarides wendete sich anschließend eine Hinterbliebene des zweiten Anschlags des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrundes” (NSU) in München in einer verlesenen Grußbotschaft an die Teilnehmenden: „Ich habe euren Schmerz als den meinigen erkannt. Eltern sollten ihre Kinder nicht zu Grabe tragen müssen”, betonte sie und wies auf die Kontinuitäten des rechten Terrors hin: „Jeder Mord ist ein weiterer Eintrag in das Kapitel Rechter Terror in Deutschland. Es müssen Menschen aufgrund von Rassismus ihr Leben lassen.” Sie kritisierte den Umgang der Behörden mit den Betroffenen: „Angehörige werden sich selbst überlassen mit Angst, Wut und Trauer. Es wird verfahren wie mit dem NSU.” Abschließend betonte Boulgarides: „Aber wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. Wir müssen lernen für einander da zu sein und einzustehen. Wir werden die Erinnerungen weiterleben lassen, denn wir sind größer als der Hass!”

Dann setzte sich der Trauermarsch in Bewegung Richtung Königsplatz. Vor dem NS-Dokumentationszentrum fand eine kurze Zwischenkundgebung statt, auf der Akin Erdem als Redner unterstrich, wie wichtig der Einsatz für eine richtige Einordnung des Anschlags war, der von der Polizei jahrelang nicht als rechte Tat eingestuft worden war. „Ohne gesellschaftlichen Druck würde rechter Terror nicht anerkannt. Erst wurde der Anschlag als Tat aufgrund von Mobbing eingeordnet und nur aufgrund des Drucks der Angehörigen wurde das viel später geändert!“

Das Ziel des Marsches war das Gerichtsgebäude in der Nymphenburgerstraße, in dem unter anderem gegen den Waffenlieferanten des Attentäters und Angeklagte im NSU-Komplex verhandelt wurde. Sibel Leyla sprach dort erneut zu den Teilnehmenden und klagte an, dass rechte Täter*innen wie der Waffenlieferant nicht konsequent bestraft werden. „Wir sind weiter tödlichem Rassismus ausgesetzt (…) Täter, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, werden geschützt.“ Bei der Aufklärung rechten Terrors könne man sich nicht auf die Behörden verlassen. Es brauche gesellschaftliche Solidarität und Anteilnahme. „Solange ich euch aller hier sehe, gebe ich die Hoffnung nicht auf.“

Nach dem Ende der Kundgebung machten sich die Teilnehmenden auf zur Gedenkveranstaltung am Olympia-Einkaufszentrum. In seiner Eröffnungsrede konstatierte Oberbürgermeister Dieter Reiter: „Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, aber das ist unmöglich, wenn neun Leben mit einem solchen Hass, einer solchen Menschenverachtung und solcher Brutalität ausgelöscht werden. (…) München ist seit diesem 22. Juli 2016 anders als München vor diesem 22. Juli 2016 war. Wenn neun Menschen sterben müssen, weil das rassistische Selbstbild des Mörders sie einem Teil der Gesellschaft zuordnet, auf den er seinen menschenverachtenden Hass richtet, dann hat das auch Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft insgesamt. (…) Die Tat zielte auf ein buntes, auf ein vielfältiges, auf ein tolerantes, weltoffenes München und der Attentäter wollte ganz bewusst, die Grundlagen unseres Zusammenlebens erschüttern. (…) Rechter Terror zieht seit Jahrzehnten eine blutige Spur durch unser Land und unsere Stadt und solange diese mörderischen Taten als isolierte Einzeltaten abgetan und die strukturellen und ideologischen Kontinuitätslinien ausgeblendet werden, solange wird es nicht gelingen, dieser menschenverachtenden Gefahr angemessen entgegenzutreten. Angesichts der Verbreitung von rassistischen und anderen menschenverachtenden Ideologien und Aktivitäten in München braucht es immer eine klare Haltung gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus, gegen Antiziganismus und Verschwörungsdenken. (…) Wir als gesamte Stadtgesellschaft müssen uns schützend vor alle stellen, die von Ausgrenzung, von Anfeindung und von Gewalt bedroht sind!“

Im Anschluss sprachen Betroffene des Anschlages über ihre Erfahrungen, ihren Schmerz und ihre Wünschen für den Umgang mit der Tat. Gisela Kollmann erzählte von Guiliano, ihrem Enkelsohn, der 2016 ermordet wurde. Es sei wichtig, sagte sie, dass die Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Zu viele Münchner*innen wüssten nicht, was 2016 geschah und dass es ein rechter Anschlag war. Sie erlebe auch nach der Tat als Sintiza weiter Rassismus. Von der Polizeiarbeit nach dem Attentat war sie enttäuscht. Sie wurde etwa direkt nach dem Anschlag in unangemessener Weise ausgefragt, obwohl sie gerade einen geliebten Menschen verloren hatte. Sie schloss ihre Rede mit den folgenden Worten: „Sein Lachen wird immer bei uns bleiben. Guiliano, du bist und bleibst in unseren Herzen.“

Hüseyin Bayri, der den Anschlag neben Guiliano erlebte und nur durch einen Zufall mit dem Leben davon kam, betonte: „Es ist mir wichtig, dass die Leute wissen, dass es sich um einen rechten Anschlag handelt.“ Er wolle als Betroffener ernst genommen werden und gemeinsam der Getöteten gedenken.

Auch in diesem Jahr waren Mitglieder einer Gedenkinitiative aus Hanau zum Gedenken angereist. In zwei eindrücklichen Reden prangerten zwei Angehörige der Ermordeten dieses Anschlags die Arbeit der Behörden und den gesellschaftlichen Umgang mit der Tat an. Sie seien mit 20 Personen aus Hanau gekommen, um zu zeigen, dass sie den Schmerz der Betroffenen in München teilen und ihnen solidarisch den Rücken stärken. „Wir werden keine Ruhe geben, nicht in Hanau, nicht in Halle, nicht in München! Wir werden überall kämpfen um Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen“, erklärte Çetin Gültekin.

Die Parallelen rechten Terrors zeigte Robert Höckmayr auf, ein Überlebender des Oktoberfestattentates. Mit den Folgen eines Anschlags umzugehen, sei schwierig und erfordere viel Kraft. Der Umgang der Behörden mit den Betroffenen sei oft nicht angemessen. Sie würden an den Rand gedrängt, als ob sie selbst schuld seien. Das müsse aufhören. Prävention gegen rechte Gewalt sei wichtig und müsse dringend intensiviert werden. Hate Speech bereite den Boden für Gewalt und Terror. Eine parlamentarische Anhörung Betroffener verschiedener rechter Anschläge könne eine Grundlage für konkrete Schritte gegen rechte Gewalt sein.

 

Für ein würdiges Gedenken an rechten Terror in München: Der Polizeieinsatz am 19.02.2022 muss aufgearbeitet werden

Am 19. Februar 2022 gedachten Menschen in ganz Deutschland der Betroffenen des rechten Anschlags in Hanau 2020. In München kamen Hunderte zu einer Kundgebung auf den Königsplatz und beteiligten sich an einer anschließenden Demonstration. Mit nachdenklich machenden und aufrüttelnden Reden erinnerten Initiativen wie die DIDF-Jugend, NSU-Watch, die DGB-Jugend und BEFORE an die Ermordeten und alle anderen Betroffenen. Leider wurden die Kundgebung und die anschließende Demonstration durch den Einsatz der Münchner Polizei so stark gestört, dass ein angemessenes Gedenken fast unmöglich wurde.

Ein solches würdiges Gedenken kann nicht stattfinden, wenn

-die Polizei die Kundgebung mit einem überzogen großen Aufgebot von Dutzenden Fahrzeugen und unzähligen Beamt*innen in Zivil und Uniform umgibt, welches es fast unmöglich macht, das Anliegen nach außen zu tragen.
-Beamt*innen während der Kundgebung mit hellen Taschenlampen Teilnehmende anleuchten, teilweise direkt in ihr Gesicht.
-Beamt*innen völlig unangemessen mit Heiterkeit auf einen Redebeitrag reagieren, der rechte Netzwerke auch innerhalb der Polizei thematisiert.
-die Gedenkdemonstration an einer Engstelle in der Route von Beamt*innen mit massiver Gewalt angegangen wird.
-bei Festnahmen nach der Demonstration laut Augenzeug*innen durch die Beamt*innen willkürlich auch gegen Unbeteiligte Gewalt angewendet wird.

Das Auftreten der Münchner Polizei am 19. Februar gegenüber den Teilnehmenden war insgesamt unangebracht und vor allem äußerst respekt- und rücksichtslos gegenüber allen Betroffenen von rechter Gewalt.

Als Beratungsstelle wissen wir, dass ein solches Verhalten der Polizei im Rahmen einer antirassistischen Kundgebung besonders auf Personen, die von gruppenbezogen menschenfeindlichen Diskriminierungen und Gewalt betroffen sind re-traumatisierend wirken kann. Am 19. Februar waren auf der Gedenkveranstaltung auch Kinder anwesend, die durch den Polizeieinsatz in Angst versetzt wurden. Betroffene aber auch andere Interessierte müssen sich unter diesen Bedingungen vorher überlegen, ob sie sich einer derartigen Behandlung durch die Polizei überhaupt aussetzen können. Letztlich kann die Polizei ihnen somit die Teilnahme an solchen Gedenkveranstaltungen unmöglich machen.

Dass der Einsatz der Polizei und das Verhalten von Beamt*innen ein solch beklemmendes Klima schaffen, in dem ein würdiges Gedenken an rechte Gewalttaten in München nicht stattfinden kann, darf unserer Ansicht nach nicht hingenommen werden. Es muss für alle, auch für Familien mit Kindern, möglich sein, sich an Gedenkkundgebungen zu beteiligen.

Die Polizei und die politischen Verantwortlichen müssen diesen Einsatz kritisch aufarbeiten und nachhaltige Konsequenzen ziehen, damit die Münchner Polizei bei zukünftigen Gedenktagen so auftritt, wie es dem Gedenken an Terroranschläge angemessen ist – rücksichtsvoll, friedlich und mit Bedacht für die Sicherheit und Unversehrtheit der Teilnehmenden.

 

19.02.2021 – Gedenken an die Betroffenen des Terroranschlags in Hanau

Say their Names:

Gökhan Gültekin

Sedat Gürbüz

Said Nessar Hashemi

Mercedes Kierpacz

Hamza Kurtović

Villi Viorel Paun

Fatih Saracoglu

Ferhat Unvar

Kaloyan Velkov

 

Liebe Freund*innen,

zunächst möchte ich hier ein paar Gedanken loswerden. Erinnern bedeutet nicht Vergessen! Erinnern heißt auch Verantwortung übernehmen für das Leid, das aus Hass, Hetze und Rassismus entsteht. Das bedeutet auch die Solidarität mit den Überlebenden, die mit dieser weiteren Tat gemeint sind.

Vor einem Jahr wurden Gökhan, Sedat, Said, Mercedes, Hamza, Villi, Fatih, Ferhat, Kaloyan in Hanau aus dem Leben gerissen. Von einem Täter, der vorbereitet war, mit Hass und Rassismus, Antiziganismus, Verschwörungs-Erzählungen. Diese Tat war und ist auch eine Botschaft, wir alle sind gemeint. Aus Erfahrung weiß ich, wissen wir in der Beratungsstelle BEFORE, die Botschaft kommt genau da an, wohin sie gesendet wird. Sowohl in den betroffenen Communities als auch in der rechten Szene.

Das, liebe Freund*innen lassen wir nicht stehen. Denn dieser rechtsextremistische Anschlag auf Menschen, die als sog. Andere markiert werden, geht uns alle an. Dieser Anschlag nimmt uns Menschen aus unserer Mitte. Im Namen von und als Mitarbeiterin der Beratungsstelle BEFORE spreche ich heute zu Euch. Wir trauern und gedenken der Opfer.

BEFORE begann 2016 als unabhängige, für die Betroffenen kostenfreie und parteiische Beratungsstelle ihre Arbeit. Während der NSU Prozess in der 6. Strafkammer des Oberlandesgerichts München bereits im Mai 2013 in die ersten Verhandlungstage startete. Ich möchte hier all denjenigen danken, die erkannten, dass in München eine solche Beratungsstelle seit Jahrzehnten fehlte. Der Einsatz von Menschen aus der Zivilgesellschaft und Politik sei hier kurz genannt. Dennoch sei auch genannt, wie tief die Wunde des Fehlens von Anlaufstellen für Opfer und Angehörige bereits war. Dass München weder der Ort der Glückseligen war, noch ist.

Rechtsterroristische Attentate und geplante Attentate waren weit vor der Gründung von BEFORE grausame Realität. Das Oktoberfestattentat vom 26. September 1980 war ein rechtsextremer Terroranschlag. Zwei NSU Morde erschütterten die Stadt. Die Martin Wiese Gruppe „Kameradschaft Süd – Aktionsbüro Süddeutschland“ plante zur Eröffnungsfeier am 9. November 2003 ein Sprengstoffattentat auf den Neubau der Synagoge, auf das Gemeindezentrum der Israelitischen Gemeinde mitten im Herzen von München am Sankt-Jakobs-Platz. Auch gab es viele rassistische Übergriffe, Diskriminierungen sowie Hass und Hetze gegen Menschen. Ereignisse, die unbekannt blieben und auch solche, die keinen Eingang in die Polizeistatistiken fanden und finden. Das ist auch der Auftrag von BEFORE. Betroffenen eine Stimme zu geben. Die Stadtgesellschaft, die Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Behörden für die notwendigen Schritte für gerechtere Handlungen und Haltung zu sensibilisieren. Denn rassistische, antisemitische, antimuslimische, antiziganistische, sexistische, homophobe Hetze und Taten zielen auf die physische und psychische Unversehrtheit der Betroffenen ab. Sie beeinträchtigen ihre Existenz. Hatespeech und Hatecrime haben das Ziel der Erniedrigung bis hin zur Vernichtung. Sie zielen auf das Leben von Menschen.

Deshalb muss die Betroffenenperspektive im Fokus stehen. Sie ist diejenige Perspektive auf die es ankommt, wenn wir als Gesellschaft das Leid anerkennen wollen. Wenn wir ernst nehmen wollen, was den Opfern, ihren Familien und Freund*innen in Hanau angetan wurde. Wir bei BEFORE sehen in unserer Arbeit mit den Betroffenen, dass Wunden nicht so schnell heilen. Vor allem dann nicht, wenn die Opfer, Überlebende, Angehörige allein gelassen werden. Von den Behörden die körperlichen und psychischen Schäden nicht anerkannt werden, die Ermittlungen folgenlos bleiben, wie z.B. nach dem Oktoberfestattentat. Wenn nach dem Verlust von geliebten Menschen, Jahrzehnte lang gegen die Angehörigen rassistisch ermittelt und sie entrechtet werden wie bei den Betroffenen der rechtsterroristischen Morde des NSU. Wir haben Erfahrungen darin gesammelt, dass es einen gewichtigen Unterschied ausmacht, wenn richtig ermittelt wird. Dass Leid anerkannt wird. Dass Betroffene nicht alleingelassen werden. Dass ihre Namen und ihre Geschichten wichtig sind.

Der Täter von Hanau (, dem ich hier nicht viel Raum geben will), wollte die Namen und Geschichten auslöschen. Das war auch das Ziel des rassistischen Attentats am 22.7.2016 am OEZ. 9 Menschen wurden aus unserer Mitte gerissen. Say Their Names: Armela, Sabina, Sevda, Can, Selçuk, Janos Roberto, Chousein bzw. Hüseyin, Dijamant, Giuliano. Der Mörder von Hanau trainierte in München in einem Schützenverein, er lagerte Waffen. Die Parallelen zwischen rechtsextremen Attentätern sind frappierend. Das geschlossene rechtsextreme Weltbild, die Affinität zu Waffen, der Kontakt und Austausch zu Gesinnungspersonen im Netz. Das sich gegenseitig Bestärken und Anfeuern. Die Identifikation.

Die Täter von München, Hanau, Halle sind keine Einzeltäter. Sie beziehen sich aufeinander, verfassen Manifeste. Es ist bestürzend und dennoch einfach die Puzzleteile zusammenzulegen, um zu erkennen, dass die Rede von Einzeltätern eine Legende ist. Lasst uns dieser Legende entgegentreten. Lasst uns stattdessen Betroffenen von rechten, rassistischen Taten zuhören, sie ernst nehmen – sie finden noch immer zu wenig Gehör oder gar Verständnis. Vor allem als Menschen, als Teil dieser einen Gesellschaft. Teil von München, Teil von Christchurch, Hanau, Halle, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen. Deshalb: Schluss mit der Relativierung von rassistischen, rechten Taten! Schluss mit der Diffamierung von Antifaschist*innen! Antifaschismus ist die Aufgabe, die uns alle angeht. Sie ist Pflicht für eine gemeinsame Zukunft! Wir fordern weiter: die sofortige Herausgabe der Akten und eine lückenlose Aufklärung rechtsterroristischer Komplexe! Flächendeckende qualifizierte und unabhängige Beratungsstellen! Schulung und Sensibilisierung von Jurist*innen, Polizist*innen, Ärzt*innen, Ämtern und Lehrenden. Wir stehen gemeinsam und kämpfen gemeinsam. Gegen die Angst. Für das Leben. Mit Hanau.

Abschließend möchte ich mit den Worten von Angelika Lex Hoffnung ausdrücken. Sie sagte bei der Übereichung des Georg-Elser Preises 2015:

„Wir brauchen Zivilcourage und Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen. Wir brauchen Menschen, die gegen Nazis, Faschisten und Rassisten arbeiten. Wenn jeder von uns einen Schritt weitergeht, als er sich ursprünglich vorgenommen hat, dann mache ich mir auch keine Sorgen!“ In diesem Sinne, stehen wir heute gemeinsam für: Haltung! Erinnerung! Gerechtigkeit! Aufklärung! Konsequenzen!

Zwei Jahre nach dem Prozessende: der aktuelle Stand im NSU-Komplex

Am zweiten Jahrestag der Urteilsverkündung im ersten NSU-Prozess, dem 11. Juli 2020, sprachen die Nebenklage-Vertreterin Antonia von der Behrens und der Journalist Robert Andreasch im Rahmen einer BEFORE-Veranstaltung über die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex. Sowohl der Prozess als auch die Ermittlungen der Behörden und damit alte wie neue Fragen über das NSU-Netzwerk standen dabei im Mittelpunkt.

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40 Jahre Kampf um Anerkennung und Unterstützung – der 40. Jahrestag des Oktoberfestattentates

Am 26. September 2020 jährte sich der extrem rechte Anschlag auf das Oktoberfest zum 40. Mal. Am Gedenkort am Nordausgang der Theresienwiese gedachten mehrere hundert Teilnehmende aller Menschen, die von dem Attentat getroffen wurden. Vier Betroffene schilderten ihre Erfahrungen am Tag des Anschlags und in den seitdem vergangenen Jahrzehnten in eigenen Redebeiträgen.

Gudrun Lang

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Robert Höckmayr

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Renate Martinez

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Dimitrios Lagkadinos

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Die Texte der Reden und nähere Informationen zum Umgang mit dem Oktoberfestattentat finden Sie in der BEFORE-Broschüre Historische Verantwortung.

Wir danken dem Bayerischen Rundfunk für die Möglichkeit, die Aufnahmen der Reden hier zeigen zu können.

 

Als der NSU zum ersten Mal in München mordete – In Gedenken an Habil Kılıç

 

Am Vormittag des 29. August 2001 wurde Habil Kılıç durch die Rechtsterrorist*innen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im Obst- und Gemüseladen seiner Familie ermordet. Nach seiner Frühschicht als Gabelstaplerfahrer auf dem Münchener Großmarkt stand er hinter dem Tresen des Geschäftes in Ramersdorf, als zwei Männer eintraten und ihm zwei Mal in den Kopf schossen. Zuvor hatte der NSU bereits drei Morde begangen, im August 2001 tötete er das erste Mal in München. Zehn weitere lange Jahre konnten die Rechtsterrorist*innen in ganz Deutschland ungehindert agieren, legten drei Bomben und ermordeten sechs weitere Menschen. Ihre Taten finanzierten sie unter anderem durch fünfzehn Banküberfälle.

Für seine Frau und seine zehnjährige Tochter war nach dem Mord an Habil Kılıç nichts mehr wie es gewesen war: Die Familie verlor ihre Wohnung und das Geschäft. Nach dem Mord an ihrem Mann und Vater wurde so zusätzlich die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Familie zerstört. Eine große Belastung waren die anschließenden Ermittlungen der bayerischen Behörden, die die Familie, Angehörige, Bekannte und Kolleg*innen immer wieder verhörten. Die Verdächtigungen über angebliche Verstrickungen in kriminelle Geschäfte griffen auch einige Medienvertreter*innen bereitwillig auf und verbreiteten sie in der Öffentlichkeit. Dass Habil Kılıç von Neonazis aus rassistischen Motiven ermordet worden war, erfuhren die Angehörigen erst im Jahr 2011 nach der Selbstenttarnung des NSU.

Siebzehn Jahre nach der Tat erinnern wir heute an den rechtsterroristischen Mord an Habil Kılıç. In Gedanken sind wir an diesem Tag bei allen Angehörigen, Bekannten und Freund*innen von Habil Kılıç, wir wünschen ihnen weiterhin viel Kraft für den Umgang mit dem schweren Verlust.

Auch nach dem Gerichtsprozess gegen fünf Angeklagte vor dem Landgericht München sind viele Fragen der Betroffenen zum NSU-Netzwerk und dem Vorgehen der Behörden nicht beantwortet. Die Aufklärung muss weitergehen, die kritische Öffentlichkeit darf nicht aufhören weiter nachzufragen. Der NSU hat gezeigt, dass rechte Ideologien, Rassismus und andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, zwei Seiten derselben Medaille sind – ob sie sich als terroristische Gewalt oder als Diskriminierung äußern. Eine wache demokratische Zivilgesellschaft muss Betroffenen von rechter Gewalt und Ausgrenzung im Umgang mit den Folgen der Taten zur Seite stehen und alles dafür tun, dass Neonazis nie wieder im toten Winkel der gesellschaftlichen Wahrnehmung Menschen angreifen können. In der Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex werden wir diesen toten Winkel auch in Zukunft ausleuchten.

München, 29.08.2018

 

Wir vermissen euch alle, immer, zutiefst – Zwei Jahre nach dem Attentat am Olympia-Einkaufszentrum

 

Am 22. Juli 2018 kamen zahlreiche Münchener*innen, unter Ihnen Betroffene und Angehörige von Todesopfern, sowie Vertreter*innen des Stadtrates zusammen, um an das rechte Attentat am Olympia-Einkaufszentrum zu erinnern. Am 2017 eingeweihten Mahnmal vor dem OEZ gedachten sie gemeinsam der neun Ermordeten, der zahlreichen Verletzten und aller weiteren Betroffenen, deren Leben zwei Jahre zuvor durch den Anschlag erschüttert wurde.

In seiner Ansprache stellte Oberbürgermeister Dieter Reiter die Verbindung zwischen dem „rechtsextremen und rassistischen“ Attentat und anderen rechten Anschlägen in München her. Um rechten Gewalttaten wie dem OEZ-Attentat entgegenzutreten, sprach er sich für „die uneingeschränkte Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen“ und einen „womöglich noch stärkeren Zusammenhalt der Stadtgesellschaft“ aus.

Eine betroffene Familie, die BEFORE im Umgang mit den Folgen des Attentates begleitet, hatte spontan eine eigene kurze Ansprache zur Erinnerung an ihren getöteten Angehörigen verfasst. Leider war es im Rahmen der Feier nicht mehr möglich, diesen Redebeitrag vor Ort zu halten. Daher veröffentlichen wir die Worte der Familie nunmehr auf diesem Wege.

“Sen gideli bugün tam 2 yıl oldu … Söylemesi belki çok kolay ama sensiz yaşamasi çok zor. Her geçen gün içimizden birşeyler alıp götürdü. Gözümüzün ışığı, yaşama sevincimiz de seninle beraber gitti. Melek gibi biriydin, melek olup uçup gittin. Sen şimdi en güzel yerdesin belki ama seni bir daha göremeyecek olmak, sana sarilamamak, kokunu duyamamak çok zoruma gidiyor oğlum … Ölenler ölümü bilmez, ölüm kalanlar içindir. Unutma oğul 17 yaşindan vurulanlar ölmez.

Seni çok seviyor ve hep özlüyorum.”

„Seit du von uns gegangen bist, sind es genau 2 Jahre … Das zu sagen ist vielleicht einfach, aber ohne dich zu leben ist unendlich schwer. Jeder einzelne Tag seitdem du nicht mehr da bist, bricht ein Stück aus uns heraus. Du unser Augenlicht. Auch unsere Lebensfreude ist mit dir gegangen. Wie ein Engel warst du. Und jetzt bist du vielleicht an einem schöneren Ort, aber dich nicht mehr sehen zu können, dich nicht mehr in die Arme nehmen zu können, dich nicht mehr riechen zu können, fällt uns unendlich schwer. Die Toten kennen den Tod nicht. Der Tod ist für die Lebenden. Mein Sohn vergiss nicht, dass die, die im Alter von 17 Jahren erschossen werden, nicht sterben. Ich liebe und vermisse dich ewiglich.

Wir alle, alle Angehörigen vermissen euch alle. Immer, zutiefst.“

München, 22.07.2018

 

 

Wir sagen: Kein Vergessen – In Gedenken an Theodoros Boulgarides

 

Am 15. Juni 2005 wurde Theodoros Boulgarides durch die Rechtsterrorist*innen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) ermordet. Die Täter*innen betraten sein Geschäft in der Trappentreustraße im Münchener Westend und töteten den Familienvater mit drei Kopfschüssen. Jahrelang konnte der NSU in Deutschland aus purer Menschenverachtung morden ohne, dass die Behörden ihn daran gehindert hätten. Zehn Menschen verloren deshalb ihr Leben, dutzende mehr wurden bei drei Bombenanschlägen und fünfzehn Banküberfällen verletzt.

Sicherzustellen, dass Rechtsterroristen nie wieder derart ungestört agieren können, ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Das Verhalten der Behörden in Bezug auf den NSU hat eindrücklich gezeigt, dass hierfür eine wache, kritische Zivilgesellschaft unbedingt erforderlich ist. Nach dem Mord an Theodoros Boulgarides ermittelten die Behörden wegen des Verdachtes auf angebliche Verbindungen der Betroffenen ins kriminelle Milieu. Die Ermittelnden befragten immer wieder das Umfeld der Familie, die dadurch auch in Zusammenhang mit Prostitution, Waffenhandel und anderen kriminellen Aktivitäten gebracht wurde. Bezüglich eines möglichen rechten Hintergrundes der Tat ermittelten die Behörden nicht. Erst die Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 zeigte, dass Theodoros Boulgarides von Neonazis umgebracht worden war.

An den Jahrestagen der NSU-Morde muss die Erinnerung an die Ermordeten lebendig gehalten werden. Unsere Gedanken sind heute bei allen Angehörigen von Theodoros Boulgarides, wir wünschen ihnen weiterhin viel Kraft für den Umgang mit dem schweren Verlust.

Damit sich eine solche rechte Mordserie nicht wiederholt, sollten die Jahrestage auch der Mahnung vor den Folgen von Ressentiments und rechten Ideologien dienen. Vor dem Landgericht München nähert sich zurzeit der „NSU-Prozess“ seinem Ende, doch die gesellschaftliche Herausforderung, Rassismus, Ausgrenzung und rechter Gewalt konsequent entgegenzutreten, besteht jeden Tag aufs Neue. Viele Fragen der Betroffenen sind bis heute nicht beantwortet – unter die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex kann noch lange kein Schlussstrich gezogen werden.

München, 15.06.2018

 

 

Robert Höckmayr zum Oktoberfestattentat und seinen Folgen

 

Im Rahmen der Gedenkfeier für die Betroffenen des Attentates auf das Oktoberfest im Jahr 1980 hielt am 26. September 2017 erstmals ein direkt betroffener Überlebender selbst eine Ansprache: Robert Höckmayr, geborener Platzer, schilderte am Mahnmal, das heute den Anschlagsort am Wiesn-Haupteingang markiert, die Folgen der Gewalttat und äußerte sich zum Umgang mit den Betroffenen.

Eingeladen zu der Gedenkfeier hatte die Münchner DGB-Jugend. Zu den mehr als hundert Gästen gehörten neben Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter auch mehrere Abgeordnete des Bayerischen Landtags und des Münchner Stadtrats sowie zahlreiche Hinterbliebene und Helfer*innen und Angehörige der damals Verletzten oder Getöteten. Die Rede von Robert Höckmayr gibt der Öffentlichkeit einen Einblick in die Perspektive eines Betroffenen als einen wichtigen Beitrag für die gesellschaftlichen Debatten über den Umgang mit Überlebenden sowie ein angemessenes Gedenken.

Der Text der Ansprache kann hier heruntergeladen werden.